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Berichte

„So schmutzig wie Kohle“

Wie Effekthascherei, pseudowissenschaftliche Halbwahrheiten und böswillige Ignoranz Holznutzung, Forstwirtschaft und Forstleute diskreditieren

Kommentar zur "stern"-Ausgabe vom 22. August 2019

Dem Wald geht es schlecht, viele Bäume sterben, und Schuld daran sind –man wischt sich erstaunt die Augen – die deutschen Forstleute und die Nachhaltigkeit. So steht es zumindest in der Ausgabe der Zeitschrift „Stern“ vom 22. August. Bemerkenswert daran ist zunächst, dass es der Wald auf die Titelseite der nach eigener Aussage „meistgelesenen frei verkäuflichen Zeitschrift Deutschlands“ mit einer Reichweite von angeblich 5,95 Millionen Lesern geschafft hat. Er bildet zwar nur die Kulisse für Deutschlands wohl derzeit bekanntesten Förster, doch immerhin.

Der „stern“ nimmt die durch Stürme, Trockenheit und Käfer ausgelöste Krise des Waldes zum Anlass, diesen Förster, im Zweitberuf Buchautor und Akademie- Betreiber, sein Name ist Peter Wohlleben, zu fragen, wie es um den Wald bestellt ist, warum es ihm so schlecht geht und was man dagegen tun kann. Und Wohlleben, unter dessen Namen im Hamburger Verlag Gruner und Jahr, der auch den „Stern“ herausgibt, unter dem Titel „Wohllebens Welt“ eine neue Zeitschrift zu Natur-Themen erscheint, lässt sich nicht lange bitten: Er zieht mächtig vom Leder gegen seinen Berufsstand, der nicht nur dem Wald, sondern vielleicht auch ihm Böses angetan haben muss.

Ende der „konventionellen Forstwirtschaft“ gewünscht

So spricht er vom Holz als „vermeintlichem Ökorohstoff“ und „hofft sogar, dass die Hitzewellen in diesem und letztem Jahr das längst überfällige Ende der konventionellen Forstwirtschaft einläuten“. Doch in welcher Welt lebt Wohlleben eigentlich? In der seiner Zeitschrift „Wohllebens Welt“, die sich mit einer Auflage von 110 000 Stück um ständig neue Reißer bemühen muss, um auf dem heiß umkämpften Printmarkt nicht als mediale Eintagsfliege zu enden?

So gibt es das niedersächsische Programm zur „Langfristigen Ökologischen Waldentwicklung (LÖWE)“ bereits seit 28 Jahren, und es wurde seitdem von allen niedersächsischen Landesregierungen in den unterschiedlichsten Konstellationen voll getragen. Vergleichbare Maßgaben gibt es seit Jahrzehnten auch in den anderen Bundesländern. Die Bundeswaldinventur bilanziert, dass der Waldumbau greift. Der Hinweis, dass der Wald eben Zeit braucht, ist eigentlich schon obsolet, wird von Wohlleben aber offensichtlich ignoriert. Er suggeriert, dass auch heute noch tonnenweise Chemie über dem Wald ausgekippt wird, indem er an die „Beseitigung von Laubbäumen mit unvorstellbarer Härte“ mit Tormona, einem „Bestandteil des im Vietnamkrieg eingesetzten ‚Agent Orange‘“ erinnert. Reißerisch eben.

„Grüne Wüsten“ von Vorfahren verschuldet

Für die „grünen Wüsten“ entschuldigten sich heutige Forstleute damit, dass dafür die Vorfahren verantwortlich seien, die nach dem Zweiten Weltkrieg „auf jeder verfügbaren Fläche schnellwachsende Nadelhölzer“ angepflanzt hätten, um Bauholz für den Wiederaufbau bereitzustellen. Auch wenn sich dem Leser nicht erschließt, was daran verwerflich sein sollte, ignoriert Wohlleben komplett die Reparationshiebe nach dem Zweiten Weltkrieg, die in vielen Landstrichen lediglich die blanke Erde zurückließen. Diese bald wieder in Bestockung gebracht zu haben, genauso wie übrigens die devastierten Flächen in den 200 Jahren zuvor in vielen Teilen Deutschlands – eindrucksvolles Beispiel sind die steppenähnlichen Landschaften der Lüneburger Heide im 19. Jahrhundert – ist das Verdienst von Forstleuten. Ihnen dasheute anzukreiden, ist einfach nur impertinent. Übrigens zeigt der „Stern“ Wohlleben im Bild, wie er neben einem Rückepferd mit Fichte am Seil an einer „Fichtenplantage“ entlanggeht. Klar, die Vorfahren…

Selektives Anspruchsdenken und Ignoranz prägen auch das Editorial von „Stern“- Chefredakteur Florian Gless. Es zeigt das Dilemma, in der unsere Gesellschaft im Klimawandel steckt. Der sich selbst als „Stadtmensch“ bezeichnende Hamburger Gless „kam aus Köln“, wie er schreibt, als er den Gruner und Jahr-Starautoren in der Eifel besuchte. Gless: „Obwohl es in Strömen goss, überkam mich Ruhe“. Dass die Wälder, die er auf seiner Fahrt sah und die ihn offensichtlich begeistert haben, nicht alle Peter Wohlleben gestaltet haben kann, sondern die Waldbesitzer und Forstleute, die er wenige Zeilen später so verfehmt, blendet er vollkommen aus. Wohlleben wolle, dass die Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit den Wald nutzen und in ihm herumlaufen, so Gless. Aber genau das wollten „so manche Waldbesitzer und Förster“ nicht, obwohl sie laut Grundgesetz doch dazu verpflichtet seien. Wohlleben dagegen lade die Menschen in den Wald ein und zeige ihnen das „wuselige Mit- und Nebeneinander der Lebewesen“ – buchbar ab 109 Euro pro Person und Tag in „Wohllebens Waldakademie“. Die Millionen von Euro und Arbeitsstunden, die vor allem die öffentlichen Forstbetriebe alljährlich aufwenden, um Schulkindern, Jugendlichen und Erwachsenen die Natur nahe zu bringen, ohne diese zur Kasse zu bitten sowie die vielen Menschen, die sich in allen Waldbesitzarten zum Nulltarif erholen und dort i. d. R. gern gesehen sind – egal, werden nicht zur Kenntnis genommen. Und im Übrigen ist es vielleicht in einem Land mit mehr als 230 Einwohnern pro Quadratkilometer gar nicht so schlecht, ein paar Regeln für das Verhalten in der freien Landschaft zu haben.

Journalismus auf höchstem Niveau?

Da fragt man sich schon, warum der „Stern“, der nach eigener Aussage „Journalismus auf höchstem Niveau“ bietet, sich nicht mal mit diesen Waldbesitzern und Forstleuten unterhält, die seit Anfang 2018 am Limit laufen, um die Wälder – ihre eigenen und die der Allgemeinheit – zu retten. Für sie sei der Wald „vor allem wirtschaftlicher Nutzungsraum“, denen „Spaziergänger im Weg stehen, wenn sie sich mit tonnenschweren Holzvollerntern in die Fichtenplantagen fräsen“. Bei so viel böswilliger Ignoranz, unglücklicherweise bei einem Chefredakteur mit einem Millionenpublikum, bleibt einem der Mund offen stehen. „Danke, dass Sie den ‚Stern‘ lesen“, so Gless, lässt die wahre Motivation für so viel Besorgnis erahnen.

Denn Wohllebens Rezept, um den Wald gegen den Klimawandel zu wappnen, lautet: „Wir überlassen die Steuerung der Prozesse weitgehend der Natur.“ Er zitiert ein Gerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1990, wie übrigens auch andere der in Naturschutzkreisen tätigen Ideologen, wonach die Bewirtschaftung des Körperschafts- und Staatswaldes der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes diene und nicht dem Absatz und der Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse. Damals gab es noch die Sowjetunion, und Holz spielte als Baustoff lediglich im Dachstuhl eine Rolle, das ExpoDach entstand erst zehn Jahre später, und das Wort „Ökobilanz“ kannten allenfalls ein paar Insider. Und die Themen Arbeitsschutz und  Verkehrssicherungspflicht – in den von ihm propagierten Naturwäldern allgegenwärtig – sind für einen Peter Wohlleben offensichtlich zu popelig, um sich damit ernsthaft auseinander zusetzen.

„Wasch mich, aber mach mich nicht nass“

Der wirtschaftliche Erfolg sei Peter Wohlleben und Florian Gless von Herzen gegönnt. Doch sie führen eine besorgte Leserschaft, die nach wie vor fahren, fliegen und streamen will – „wasch mich, aber mach mich nicht nass“ – bewusst hinters Licht. Wer soll sich das Holz dieser mit dem Pferd unter persönlicher Begleitung des Försters gerückten Bäume aus wirtschaftlich defizitären Wäldern, die dieses „freiwillig“ hergeben, denn leisten? Der soziale Wohnungsbau ganz sicher nicht. Zielgruppe dürfte dann eher die ökologisch orientierte Kleinfamilie sein, in der ein Elternteil im Coupé zur Arbeit düst, während der andere die Kinder im SUV zur Waldorfschule bringt.

Man könne nicht nur mit Eiche, sondern auch mit Buche bauen, so Wohlleben weiter. In „Wohllebens Welt“ mag das so sein; in der Realität ist Bauholz aus Buche nach wie vor ein vergleichsweise teures und feuchtigkeitsanfälliges Nischenprodukt, das für den Außenbereich schon gar nicht geeignet ist. Wenn dann überhaupt noch Holz im Baubereich eingesetzt werden soll, wo es eben in der realen Welt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten mit anderen Baustoffen konkurrieren muss, kann nur auf Billigimporte aus Ländern zurückgegriffen werden, wo die nachhaltige Waldbewirtschaftung nicht so hoch im Kurs steht wie in Deutschland.

Ist bioökonomischer Ansatz falsch?

Glauben der Autor und seine Mitstreiter denn, die Gesellschaft würde aufhören zu bauen und Holzprodukte zu konsumieren, wenn es kein Holz mehr gibt, das dafür geeignet ist? Oder würde sie doch weiterhin Beton, Stahl und Plastik präferieren? Doch das ist nicht relevant, denn laut Wohlleben ist „seine (Anm.: des Holzes) Bilanz so schmutzig wie Kohle, es sei denn, es stammt aus wirklich ökologischer Bewirtschaftung“. Damit die Naturromantik bestehen kann und den Nährboden bietet für diverse Geschäftsfelder und Einflusssphären soll also eine ganze Gesellschaft darauf verzichten, ihren Wald nachhaltig zu nutzen, um wenigstens eine teilweise ökologische Wende mit bioökonomischen Ansätzen hinzubekommen? Alle haben Unrecht, die dafür plädieren, sich bei der Bestockung der jetzt geschädigten Waldflächen möglichst breit aufzustellen, um böse Überraschungen in einer ungewissen Zukunft möglichst klein zu halten? Und in den dann – in welchen Zeiträumen auch immer – entstehenden Urwäldern, nachdem Calamagrostis und Adlerfarn besiegt sind, mit dicken Buchen und Eichen wird dann mehr CO2 gebunden, als in den nachhaltig genutzten, multifunktional bewirtschafteten Wäldern? Von denen könnten die Menschen ja auch noch einen praktischen Nutzen wie z. B. Wohnen und Heizen haben, anstatt ihnen voller Begeisterung beim ökologisch korrekten Zusammenbruch mit anschließender CO2-Freisetzung zuzusehen. Egal, spielt keine Rolle.

Betroffenheit führt zu Aktivität

Insgesamt können in Deutschland jedes Jahr 127 Millionen Tonnen CO2  durch Holz eingespart werden, davon weit mehr als die Hälfte über die Nutzung. Wohllebens Appell, die CO2-Problematik nicht überzubewerten, denn die Natur könne sich ganz gut dagegen wehren, sowie ideologisch getriebene Forderungen, die „Natur sich selbst zu überlassen“, nach noch mehr „Urwald“ und „Wildnis“, sind daher schon als verantwortungslos zu bezeichnen, zumal mit NWE5 gegenwärtig bereits fünf Prozent der Waldflächen nutzungsfrei gestellt werden. Zum Glück sehen das viele maßgebliche Politiker – und zwar aller Parteien – ganz genauso. Die Betroffenheit angesichts der sterbenden Bäume greift um sich und führt zu Aktivität.

Verunglimpfung ist unangebracht

Auch da sind Forstleute und Waldbesitzer ihrer Zeit voraus: Schon seit Jahrzehnten bauen sie die Wälder um und gestalten sie klimastabil. Wer sich offenen Auges durch die Landschaft bewegt, sieht das auch – es sei denn, er will es gar nicht sehen. Dass dies Zeit braucht und auch noch nicht bei jedem in der Fläche angekommen ist, sollte kein Grund sein, einen ganzen Berufsstand pauschal zu verunglimpfen. Auch werden die Wälder der Zukunft anders aussehen, als die jetzt durch die Trockenheit geschädigten Forste. Flächendeckende Buchenurwälder – dieses Bild wird ja dem unbedarften Waldbesucher immer wieder mit romantisch verklärtem Blick suggeriert – werden es angesichts der aktuellen Entwicklung mit ziemlicher Sicherheit nicht sein; aber eben auch keine Plantagen. Die Wälder werden sich in erster Linie am Kriterium Stabilität orientieren und aus möglichst mehreren Baumarten bestehen müssen. Sie werden vielerlei Ansprüche der Gesellschaft zu erfüllen haben – was sie übrigens jetzt schon tun, und zwar in allen Waldbesitzarten – und sie werden pflegeintensiver sein. Das sollte auch denen klar sein, die in den vergangenen Jahrzehnten die Personalausstattung in den Forstbetrieben und - verwaltungen kräftig nach unten gedreht haben. Die Beliebtheit für den „Klimarohstoff Holz“ sollte darunter nicht leiden. Baden-Württemberg macht mit seiner Holzbauoffensive vor, wie das geht. Und nach wie vor liegt auf der Hand: Wer nachhaltig erzeugtes Holz einsetzt, das über möglichst kurze Wege bereitgestellt wird, tut etwas für den Klimaschutz. So „schmutzig wie Kohle“ kann das gar nicht sein.  

Markus Hölzel
Chefredakteur der proWALD

Foto: Markus Hölzel